INTERVIEW



Interview mit Merita Laurél,

Autorin des Buches

„Bootstrapping. Unternehmensgründung ohne Fremdkapital“





Wie bist du zum Thema „Bootstrapping“ gekommen?



ML: "Unternehmensgründung ohne Fremdfinanzierung war für mich bereits ein Thema als ich den Begriff „Bootstrapping“ noch gar nicht kannte. Schon direkt nach dem Studium, im Jahr 2008, wollte ich mich selbstständig machen und ins Künstlerfach gehen.

Doch ich war nicht so naiv zu glauben, dass ich damit einfach zu meiner Hausbank gehen könnte, nach dem Motto: „Jetzt habe ich zwei Studienabschlüsse und ein fertiges Promotionsstudium als Betriebswirtin, aber mir ist doch eher nach Künstlerin, wie sieht es aus mit einem Gründungskredit?“ Meine Studienzeit hatte ich mir bereits fast komplett selbst durch Studentenjobs finanziert; das klappte auch gut, aber ließ, da ich schnell studierte und jeweils noch unterhalb der Regelstudienzeit abschloss, keine Möglichkeit mir während des Studiums schon Rücklagen anzusparen. Also war mir klar: Mein Vorhaben steht, aber ich muss mir vorher ein gutes Polster Eigenkapital schaffen um dann aus eigener Kraft ins Künstlerfach zu starten. Gerade die Kunst-, Musik- und Kulturbranche ist ein relativ riskantes Terrain für eine solide Businessplanung. Und das was mir vorschwebte war damals technisch noch in den Kinderschuhen. Also habe ich in den sauren Apfel gebissen und mich 2008 erst einmal als Beraterin und Kommunikationstrainerin selbstständig gemacht. Vier Jahre lang habe ich dabei einen Großteil von meinen Einnahmen zurückgelegt, um dann 2012 das eigentlich geplante Unternehmen aus eigener Kraft gründen zu können."




Wie bist du denn darauf gekommen, dich überhaupt selbstständig zu machen und nicht eine Anstellung zu suchen?



ML: "Unternehmergene sind, denke ich, einfach in mir. Schon im Studium zeichnete es sich ab, dass ich auf jeden Fall etwas Eigenes aufbauen möchte, frei sein möchte in meinen Entscheidungen und nach meinen eigenen Werten leben möchte. Als Selbstständige kann ich verkaufen, was ich in unserer Welt sehen möchte. Das ist für mich ein starkes Argument.

Ich bin ein Typ der Herausforderungen mag. Lebenslanges Lernen ist für mich weit mehr als nur ein Floskel.  

Erst im Erwachsenenalter erfuhr ich übrigens, dass meine Vorfahren seit acht Generationen, nur mit Ausnahme meiner Mutter, alle Unternehmer waren. Schon meine Urgroßmutter und ihre zwei Schwestern führten jede ihr eigenes Unternehmen, und das zu einer Zeit, als dies für Frauen noch die Ausnahme war. Mein Ur-Ur-Großvater hat sie darin immer gefördert. Alle drei lebten sehr gut, konnten damals schon Auslandsreisen unternehmen und den Zweiten Weltkrieg unbeschadet überleben. 

Ich sage immer: Selbstständigkeit ist für mich nicht nur die erste Wahl, sondern die einzig erstrebenswerte. Trotz aller Steine die im Weg liegen würde ich mich immer wieder dafür entscheiden."  



Was genau machst du denn heute unternehmerisch?



ML: "Ich arbeite seit 2012 als Künstlerin, Autorin und Sängerin mit eigenem Vertrieb, das heißt, ich vertreibe alle meine Kreationen - Musik, englisch- und deutschsprachige Bücher und Hörbücher, Video-Bundles und Fotokunst über meinen eigenen Webshop, inzwischen auf verschiedenen eigenen Plattformen. Von Beginn an hatte ich Erfolg im frankophonen Ausland und habe früh Social Media genutzt. Bis 2020 habe ich regelmäßig Konzerte gegeben, inzwischen konzentriere ich mich bewusst auf den Vertrieb digitaler Formate. Ich kann mich künstlerisch ausleben, aber behalte trotzdem kaufmännisch alle Fäden in der Hand, was mir von Tag eins an wichtig war." 



Künstlerin und Kauffrau - wie bekommst du diese Gegensätze zusammen?



ML: "Im Herzen bin ich Künstlerin: Sensibel, idealistisch, kreativ. Im Kopf bin ich Kauffrau: Ein Zahlenmensch, analytisch, diszipliniert. 

Beide Seiten kommen zusammen und nur so war es mir möglich, als Künstlerin eine Existenz aufzubauen und dabei unabhängig zu bleiben. Als Künstlerin ohne kaufmännisches Verständnis wäre ich vermutlich schon unter die Räder gekommen und als Kauffrau ohne meine kreative Arbeit wäre ich sehr unglücklich."



Eine Existenzgründung bedeutet immer ein recht großes Risiko: Das Risiko damit zu scheitern, viel Geld zu verlieren und mit leeren Händen da zu stehen. Wie gehst du mit solchen Ängsten um? 



ML: "Diese Ängste sind normal, die hat jeder Gründer. Ich verstehe sie nicht als bedrohliches Monster, sondern eher als Erinnerung, sein Vorhaben ernst genug zu nehmen und sich nicht von der ersten Windböe - der ersten Schwierigkeit, dem ersten Misserfolg - umhauen zu lassen. Wenn Plan A nicht funktioniert, habe ich Plan B schon in der Hinterhand. Und möglicherweise auch Plan C. Man sollte nicht gleich das Gründungsvorhaben an sich in Frage stellen, wohl aber seinen gewählten Ansatz, wenn dieser offenbar nicht den gewünschten Erfolg brachte.

Als Selbstständiger muss man unbedingt flexibel bleiben, Dinge schnell verändern können, offen bleiben für andere, neue Wege. Das muss man auch in der Finanzplanung unbedingt berücksichtigen. Planvoll und flexibel, das sind meiner Erfahrung nach die Schlüsselfaktoren. Je undurchsichtiger der Markt ist, auf den man strebt, zum Beispiel weil man eine Innovation wagt oder dieser Markt sich sehr schell verändern kann, desto normaler sind mehrmalige Anläufe bis zum Erfolg. Dazu muss man sich selbst und seine Ansätze ehrlich reflektieren. Aber ich würde einmal behaupten dass kaum eine Existenzgründung per se zum Scheitern verurteilt ist. Es ist das „wie“, an dem man schrauben kann und muss. Das kostet mitunter wertvolle Zeit und bedarf eines finanziellen Puffers. Daher erachte ich es für wahnsinnig wichtig, dass jeder Gründer, auch wenn er kein Fremdkapital oder eine behördliche Genehmigung benötigt, seinen Business Plan formuliert und diesen fortlaufend aktualisiert, inklusive des Zahlenteils. So behält man stets einen guten Überblick, zum Beispiel über die aktuelle Liquidität. 

Man darf Fehler machen; es ist unausweichlich, dass man als Gründer Fehler macht, aber solange es kleine Fehler sind richten sie aus nur einen kleinen Schaden an - und stürzen damit nicht gleich das ganze Gründungsvorhaben ins Bodenlose."



Hattest du Vorbilder oder einen Mentor bei deiner Existenzgründung?



ML: "Leider nein. Aber ich hätte 2008 gerne jemanden im Umfeld gehabt an den ich mich mit meinen Fragen hätte wenden können, von dessen Erfahrung ich vieles hätte schneller lernen können. So blieb mir jedoch der Weg, mich selbst schlau zu machen. Viele Informationen, zum Beispiel zu Unternehmensformen und Steuerfragen, findet man mit etwas Recherche im Internet. Ich habe auch damals schon erfolgreiche Unternehmer sehr genau beobachtet, soweit ich das konnte, um von ihnen zu lernen. Jahresabschlüsse lesen können, Handelsregisterauszüge studieren, autobiographische Bücher von Unternehmern - es gibt vieles was einem viel Input gibt für sein eigenes Unternehmen. Ich hatte sicherlich den Vorteil, dass ich BWL studiert habe. So theorielastig ein Studium auch ist, zumindest konnte ich mit dem erworbenen Wissen noch aus dem Studium heraus meinen ersten Businessplan selbst erstellen. Dieser erfüllte alle formalen Anforderungen, aber wenn ich ihn mir heute anschaue muss ich dennoch schmunzeln, wie wenig Ahnung ich vor siebzehn Jahren von der Unternehmens-Praxis hatte! Dieses praktische Knowhow kann einem nur jemand vermitteln, der selbst Unternehmer ist." 



Wie beurteilst du die derzeitige Lobby der Gründerszene in Deutschland?



ML: "Mir ist die Option „Selbstständigkeit" und "Unternehmertum“ als Berufswahl in der öffentliche Wahrnehmung viel zu wenig präsent. Oftmals scheint es, als sei Selbstständigkeit denjenigen vorbehalten, die über die Familiennachfolge ein bereits bestehendes Unternehmen übernehmen. In punkto Neugründungen sehe ich gesellschaftlich wenig Offenheit. Und für diejenigen, die diesen Schritt gehen erst einmal kaum Anerkennung. 

Weder in den Schulen noch an den Universitäten ist Entrepreneurship in Deutschland ein Thema. Wohl denen, die Unternehmergeist von ihren Eltern mitbekommen, wo zuhause über solche Themen gesprochen wird, ein Verständnis für Investitionen, Wachstum und Finanzen anerzogen wird. An Kindern, die diesen Background nicht haben geht das Thema Unternehmertum komplett vorbei, was ich zutiefst bedauere. Viele junge Menschen bringen Voraussetzungen mit, die einen erfolgreichen Unternehmer ausmachen: Technologieaffinität, Offenheit für Neues, Veränderungswillen. Gleichzeitig strebt die Gen Z nach Sinnhaftigkeit ihres Jobs und nach mehr persönlichen Entscheidungsbefugnissen. Es ist meiner Meinung nach eine Schande, dass dieses Potenzial brach liegt. Und deshalb habe ich diesen Blog ins Leben gerufen, um Informationen niedrigschwellig für alle zugänglich zu machen."



Was hältst du von dem Spruch „Selbstständig = selbst und ständig“?



ML: "Sicherlich ist das Verhältnis zum Beruf ein anderes, viel intensiver, wenn es mein eigenes Unternehmen ist in das ich meine Arbeitskraft stecke, verglichen mit einer Anstellung in einem Unternehmen, das jemand anderem gehört und wo ich letztlich jederzeit ersetzbar bin. Ich sehe mein Unternehmen als ein Familienmitglied, um das mich gerne kümmere, um es gesund zu halten und wachsen zu sehen. Quasi mein „Baby“. In den ersten Jahren einer Gründung ist der Spruch „selbst & ständig“ sicherlich zutreffend, aber dann, wenn man den Bogen herausgefunden hat, welche Faktoren den Erfolg seines Unternehmens effektiv ausmachen gilt es zu schauen, wie man von der reinen Effektivität zur Effizienz kommt: Wo ist mein Einsatz weiterhin entscheidend, und für welche Prozesse ist mein Engagement abkömmlich? Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man im Unternehmen im Laufe der Zeit einiges verschlanken kann ohne Umsatz- oder Rentabilitätseinbußen in Kauf zu nehmen. Wo genau dies der Fall ist muss man akribisch analysieren und natürlich von Zeit zu Zeit immer wieder neu prüfen. Die eigene Gesundheit ist das größte Kapital, das man hat. Durchpowern kann man eine Zeit lang, aber nicht über Jahrzehnte. Zu Beginn gibt man natürlich alles, um schnell erfolgreich zu sein und spielt alle Trümpfe aus. Später ist es sinnvoll für sich selbst eine gesunde Balance aus Arbeit und Freizeit zu finden. Die Begeisterung für mein Unternehmen ist aber heute noch genauso stark wie am Anfang, es ist und bleibt ein Teil von mir." 



Was erwartet die Leser deines Buches „Bootstrapping. Unternehmensgründung ohne Fremdkapital“?



ML: "Sowohl der Blog als auch das Buch und Hörbuch vermitteln Wissen über die Unternehmensfinanzierung mittels „Bootstrapping“, also Existenzgründungen komplett ohne Fremdkapital. Alle Selbstständigen, Gewerbetreibende sowie Freiberufler, Kleinstunternehmer im Nebenerwerb oder Haupterwerb, aber auch Gesellschafter von Kapitalgesellschaften nehme ich dabei in den Blick. Das Buch geht natürlich noch viel detaillierter und strukturierter auf alle Aspekte ein die einen als Jungunternehmer mit diesem Vorhaben erwarten. Mir ist es zudem wichtig, Erfahrungen aus meiner inzwischen über 17-jährigen, hauptberuflichen Unternehmerpraxis zu teilen und die kleinen Stellschrauben im praktischen Alltag anzusprechen, die große Auswirkungen haben. Bootstrapping ist nicht für jeden Persönlichkeitstyp geeignet, und darauf gehe ich offen und ehrlich ein; ebenso zu den Nachteilen dieser Methode, die dem einen vielleicht nichts ausmachen, aber für jemand anderen ein No-Go sind. 

Bootstrapping ermöglicht sehr viel mehr Menschen Zugang zur Existenzgründung und kann ein gangbarer Weg sein, den Traum von der Selbstständigkeit zu realisieren. Diesen neuen Begriff und seinen Möglichkeiten für den einzelnen einen Ort des Wissenstransfers zu geben, dafür habe ich den Blog und das Buch ins Leben gerufen."



Du bietest interessierten Gründern auch Business Mentoring Sessions an.

Wie sieht das genau aus?



ML: "Zu mir kommen Mentées, die in der Gründungsplanung stecken oder vor der Herausforderung, ihr bestehendes Unternehmen umzustrukturieren. Ich vermittele ihnen einerseits kaufmännische Grundlagen, die Jungunternehmen benötigen und andererseits den Blick aus der Praxis meiner langjährigen Erfahrung als Unternehmerin.

Im Mentoring erörtern meine Mentées einerseits ihre Geschäftsidee und wir klopfen das geplante Konzept auf seine Umsetzbarkeit und mögliche Fallstricke ab, sodass sie hierauf aufbauend einen stimmigen Business Plan formulieren können. Manchmal hakt es nur an einer Kleinigkeit, die der Gründer aus seiner Perspektive übersieht und die man im Vorfeld entsprechend verbessern kann, um den Gründungsprozess spürbar zu erleichtern. 

Dann ist das Thema „Business Plan“ sehr gefragt: Gerade bei der Kalkulation des Zahlenteils - Umsatz- und Rentabilitätsvorschau, Liquiditätsplan - arbeiten meine Mentées gerne mit mir zusammen und bilden sich dabei in kaufmännischem Know-how weiter, das sie spätestens bei der ersten Steuererklärung ohnehin benötigen. Ich biete grundsätzlich einzelne Mentoring Sessions an, sodass die Mentées ganz nach ihren Bedürfnissen entscheiden können ob ihnen eine Session reicht oder sie später weitere flexibel hinzubuchen möchten. Und ich garantiere von der ersten Kontaktaufnahme an absolute Vertraulichkeit bezüglich der Inhalte des Mentoring, ähnlich einer ärztlichen Schweigepflicht."



Was wünschst du dir für den Wirtschaftsstandort Deutschland der Zukunft?



ML: "Ich wünsche mir Gründergeist, so wie es ihn in den 1950er und 1960er Jahren reichlich gab und aus dem das deutsche Wirtschaftswunder hervorgegangen ist, weil viele Menschen trotz der schwierigen Bedingungen nach dem Krieg mutig waren und losgelegt haben, ihre Geschäftsidee erfolgreich umzusetzen. 

In unserer Gesellschaft wünsche ich mir ein breites Wissen über Formen und Möglichkeiten, als Unternehmer aus eigener Kraft aktiv zu werden. Über die Freude, seinen eigenen Betrieb zu führen und Produkte zu vermarkten, die man in der Welt sehen möchte. 

Ich wünsche mir, dass schon Teenager, die gute Ideen entwicklen, in ihrer Tatkraft unterstützt werden und von der Gesellschaft Anerkennung erfahren, ebenso wie Ausländer und Flüchtlinge in Deutschland. Selbstständigkeit fordert einen heraus, ohne Frage, aber es setzt auch Potenziale frei, die in einem stecken. 

Von einer neuen Unternehmergeneration profitiert die gesamte Volkswirtschaft. Und die Menschen haben Aufgaben, die sie mit Leidenschaft angehen. Auch dies trägt zu einem gesunden gesellschaftlichen Klima bei."



Share by: